Mit vereinten Kräften gegen den Krebs

Warum Medikamentenkombinationen der Schlüssel zur Überwindung einiger der grössten Herausforderungen bei Lungen- und anderen Krebsarten sein könnten

02. Februar 2022

Von Kevin Jiang

Nur wenige Herausforderungen sind so monumental wie die Suche nach neuen Behandlungsmethoden für Krebs. Je weiter die Forschung voranschreitet, desto klarer wird, dass Kombinationen von Medikamenten helfen könnten, einige der grössten Hindernisse in der Onkologie anzugehen. Schauen wir uns dies am Beispiel von Lungenkrebs etwas genauer an.

«Auf dem Gebiet des Lungenkrebses haben wir dank unseres ständig wachsenden wissenschaftlichen Verständnisses seiner Biologie unglaubliche Durchbrüche erzielt», sagt Anna Farago, eine auf Lungenkrebs spezialisierte medizinische Onkologin und klinische Forscherin bei Novartis. «Es handelt sich jedoch um eine facettenreiche Erkrankung mit verschiedenen Subtypen, die jeweils eigene Strategien erfordern. Für viele Subtypen von Lungenkrebs gibt es nur wenige oder gar keine wirksamen Behandlungen, und es ist wichtig, dass wir neue und bessere Möglichkeiten für die Patienten schaffen.»

Bei Novartis versuchen Forscher, Lungenkrebs aus mehreren Perspektiven anzugehen. Dazu gehört auch die Entwicklung lang ersehnter Therapien für einen der häufigsten genetischen Auslöser von Krebs, vor allem in der Lunge – ein Protein, das wir KRAS nennen.

Solche Medikamente benötigen jedoch möglicherweise Unterstützung bei der Entfaltung ihrer Wirksamkeit. Deshalb haben Novartis Teams ein spezielles «Partner-Medikament» entwickelt, das das Potenzial hat, nicht nur Medikamente gegen KRAS, sondern auch viele andere Krebsmedikamente bei ihrer Arbeit zu unterstützen.

Wie aber kommt man auf eine solche Idee? Indem man sich mit einem bisher ungelösten Problem der Onkologie auseinandersetzt: der Arzneimittelresistenz.

Die monumentale Herausforderung des Lungenkrebses

Die ikonische Felsformation El Capitan ragt im kalifornischen Yosemite Valley etwa 914 Meter in die Höhe. Jeden Tag erklimmen Abenteurer aus aller Welt die imposanten Granitwände. Doch noch vor etwas mehr als 60 Jahren hielten die meisten eine Besteigung für unmöglich.

Wissenschaftlern, die an der Behandlung von Lungenkrebs arbeiten, geht es in gewisser Weise ähnlich. Die Krankheit ist gewaltig - jedes Jahr sterben mehr Menschen an Lungenkrebs als an jeder anderen Krebsart. Früher galt sie gar als unheilbar. Wie die Pioniere, die als erste den El Capitan erklommen, arbeiteten die Forscher jahrzehntelang daran, die Krankheit zu verstehen, und entwickelten dabei neue Wege für Medikamente. Ihre Bemühungen ermöglichte eine Reihe von Therapien, die die Behandlung vieler Arten von Lungenkrebs verändert haben. Für andere Krebsarten gibt es jedoch nach wie vor nur wenige Behandlungsmöglichkeiten.

Hindernisse auf dem Weg dorthin

Bei einer der anspruchsvollsten Formen von Lungenkrebs ist das Protein KRASein entscheidender Signalgeber für das Wachstum innerhalb der Zelle, beteiligt. Wenn dieses Protein mutiert, verbleibt es permanent in einem "eingeschalteten" Zustand und zwingt die Zelle dadurch zu einem unkontrollierten Wachstum. Fast 40 Jahre lang scheiterten alle Bemühungen, diese Fehlfunktion von KRAS abzuschalten. Kürzlich entdeckten Wissenschaftler jedoch neue Wege, um eine bestimmte mutierte Form von KRAS zu bekämpfen.2

Forscher, unter anderem bei Novartis, haben Wirkstoffe entwickelt, die sich in jenen kurzen Zeitfenstern, in denen das Protein «ausgeschaltet» ist, an KRAS binden und es im ausgeschalteten Zustand verbleiben lassen, um das Zellwachstum zu stoppen. Doch diese Medikamente stossen auf ein großes Hindernis: Unsere Zellen verfügen über massenweise Original-Kopien von KRAS (im Mutationsfalle also Original-Kopien der mutierten Version) und produzieren dauerhaft mehr von diesem Protein, was die Wirksamkeit der Medikamente einschränken kann.

Selbst Weltklasse-Kletterer brauchen vor dem El Capitan einen Partner, um sich gegenseitig unterstützen und ihre individuellen Stärken in die Herausforderung einbringen zu können. Das gleiche Prinzip kann auch auf die angesprochenen Medikamente angewendet werden. Bei Novartis testen Wissenschaftler einen Wirkstoff, der das Potenzial hat, genau ein solcher Partner zu sein. 

Um das Zellwachstum zu koordinieren, leitet ein komplexes Netzwerk von Proteinen Signale an und von KRAS weiter. Eines der entscheidenden Proteine in diesem Netzwerk heisst SHP2.
Wie ein Lichtschalter hilft SHP2, das KRAS-Molekül aus- und einzuschalten. Daher haben die Teams von Novartis einen SHP2-Hemmer entwickelt, der den Schaltermechanismus durch Verklebung von Teilen stören soll. Die Hemmung von SHP2 kann dazu führen, dass die Zelle über mehr "ausgeschaltete" KRAS-Moleküle verfügt, wodurch Medikamente, die auf KRAS in diesem Zustand abzielen, eine bessere Chance auf Wirksamkeit haben könnten.

Aufgrund dieser Synergie erhoffen sich die Forscher, dass die Medikamentenkombination dazu beitragen kann, so viele KRAS-Moleküle wie möglich auszuschalten, um Krebszellen mit bestimmten KRAS-Mutationen am Wachstum zu hindern. Dieser Ansatz wird derzeit in mehreren klinischen Studien untersucht, weshalb es noch einige Zeit dauern wird, bis seine Sicherheit und Wirksamkeit bei Patienten beurteilt werden kann.

Ein Partner für den Aufstieg

SHP2-Inhibitoren könnten noch weitere Vorteile bieten.

«Eine der zentralen Herausforderungen bei vielen fortgeschrittenen Krebserkrankungen besteht darin, dass sich mit der Zeit eine Resistenz gegen Therapien entwickeln kann», sagt Susan Moody, medizinische Onkologin und klinische Forscherin bei Novartis. «Krebszellen finden Wege, um Medikamente zu umgehen, also müssen wir herausfinden, wie wir sie aufhalten können.»

 

Darstellungen der Proteine KRAS und SHP2
KRAS-Proteine sind ein wichtiger Signalgeber für das Zellwachstum und können bei einigen Krebsarten unkontrolliertes Zellwachstum antreiben. SHP2-Proteine spielen eine zentrale Rolle beim Einschalten von KRAS.

Die genauen Ursachen solcher Arzneimittelresistenzen sind weiterhin schwer zu ermitteln. Es gibt jedoch Hinweise – insbesondere bei Lungenkrebs –, dass viele Mutationen, die mit der Entwicklung einer Arzneimittelresistenz in Zusammenhang stehen, KRAS in der einen oder anderen Form aktivieren oder reaktivieren. Wird SHP2 deaktiviert, könnte es den Zellen schwerer fallen, KRAS zu aktivieren, was wiederum die Medikamentenresistenz möglicherweise verlangsamen oder zum Stillstand bringen könnte.

Zu diesem Zweck führen Teams von Novartis zahlreiche klinische Studien durch, in denen ein SHP2-Inhibitor in Kombination mit vielen anderen Medikamenten für verschiedene Arten von Lungenkrebs und andere Krebsarten getestet wird.

«Wir glauben, dass die Hemmung von SHP2, einem Signalknotenpunkt, an dem viele Wachstumssignale zusammenlaufen, ein Weg sein könnte, um mehrere verschiedene Resistenzmechanismen auf einmal auszuschalten», sagt Moody. «Wir freuen uns darauf, diesen Wirkstoff in Kombination mit anderen Medikamenten zu untersuchen, um zu sehen, ob dieser Ansatz das Potenzial hat, die Arzneimittelresistenz bei bestimmten Krebsarten zu bekämpfen.»

Vor mehr als 60 Jahren benötigte ein Team von Abenteurern 45 Tage, verteilt über 18 Monate, für die Erstbesteigung des El Capitan. Heute hat das schnellste Bergsteigerpaar den Gipfel in weniger als zwei Stunden erreicht.

Die Wissenschaftler arbeiten immer noch daran, die unzähligen Hindernisse bei der Behandlung von Krebs zu überwinden. Aber wie der El Capitan zeigt, ist die Überwindung scheinbar unmöglicher Herausforderungen mit Anstrengung, Einfallsreichtum und Teamwork vielleicht nur eine Frage der Zeit.