Neue Hoffnung in der Behandlung entzündlicher Nierenerkrankungen

Novartis Forscher wollen die Nierenfunktion und damit die Lebensqualität von Patienten erhalten.

23. März 2021

Von Maryse Jandrasits

Im Alter von 14 Jahren fühlte sich Gisela Delgado eines Tages unwohl. Sie dachte, sie hätte die Grippe, aber als sie Blut in ihrem Urin bemerkte, eilte sie in die Notaufnahme.1

Sechs Monate später, 1994, wurde bei ihr eine IgA-Nephropathie (kurz IgAN) diagnostiziert, eine Nierenerkrankung, bei der das körpereigene Immunsystem die Nieren angreift und langsam zerstört. Zu dieser Zeit gab es keine zugelassenen Therapien für diese Krankheit. In den kommenden Jahren verlor Delgado an Gewicht und Energie, und ihre Lebensqualität nahm kontinuierlich ab. Innerhalb der nächsten 25 Jahre, so sagten ihr die Ärzte, würden ihre Nieren wahrscheinlich versagen.  

"Es war mein erstes Jahr in der High School. Ich war ansonsten gesund", erinnert sich Delgado. "Ich dachte: Wie wird wohl der Rest meines Lebens aussehen?" 

Nun aber entwickeln Forscher von Novartis ein Medikament, das den Krankheitsverlauf verlangsamen könnte, indem es in die Angriffe des Immunsystems auf die Nieren einschreitet. Dieser Ansatz könnte die Nieren über einen längeren Zeitraum funktionsfähig halten, sodass extreme Eingriffe wie Nierentransplantationen vermieden werden könnten und sich die Lebensqualität der Patienten infolge möglicherweise verbessert . Dieses Projekt ist Teil der strategischen Ausrichtung von Novartis, eine Reihe wirksamer, krankheitsverändernder Medikamente für verschiedene entzündungsbasierte Nierenerkrankungen zu entwickeln. 

Heute lebt die 39-jährige Gisela Delgado in New Jersey und ist im Kreativbereich tätig. Sie ist einer von 850 Millionen Menschen weltweit, die an einer Nierenerkrankung leiden.2 Die meisten Menschen mit Nierenerkrankungen - insbesondere jene entzündichen Ursprungs - haben nur wenige Behandlungsmöglichkeiten. Um zu überleben, haben Menschen mit fortgeschrittenen Erkrankungen lediglich zwei Optionen: regelmässige Dialyse, um das Blut mechanisch zu filtern, oder eine Nierentransplantation.  

"Viele dieser Krankheiten sind besonders aggressiv", sagt Nicholas Webb, Senior Clinical Development Medical Director im Bereich der Kardiovaskulär-, Nieren- und Metabolismus-Erkrankungen bei Novartis. "Wir sind sehr daran interessiert, eine Lösung zu finden."  
 

 

Gisela hatte nur zwei Überlebenschancen: regelmässige Dialyse oder eine Nierentransplantation. Sie entschied sich für Letzteres.
Im Alter von 14 Jahren wurde bei Gisela Delgado eine gefährliche Nierenerkrankung namens IgAN diagnostiziert. Als sie Ende 30 war, versagten ihre Nieren. Gisela hatte nur zwei Überlebenschancen: regelmässige Dialyse oder eine Nierentransplantation. Sie entschied sich für Letzteres.

Eine Batterie verliert an Leistung 

Die Nieren sind das Blutfiltrationssystem unseres Körpers. Sie helfen, Abfall- und Giftstoffe loszuwerden, indem sie über den Urin ausgeschieden werden. Bei Patienten mit entzündlichen Nierenerkrankungen sind die Nieren buchstäblich entzündet und vernarbt, was dazu führt, dass sie stetig weiter an Funktion verlieren. 

Ich vergleiche meine Nieren gerne mit einer Batterie. Sie werden sterben, aber noch ist etwas Saft vorhanden

Gisela Delgado

Es gibt keine zugelassenen, gezielten Behandlungen, die das Fortschreiten der Krankheit bis zum Nierenversagen verhindern können. Ärzte verschreiben oft Steroide, die das gesamte Immunsystem beruhigen und somit die Entzündung reduzieren. Mit diesem Ansatz werden die Patienten jedoch anfälliger für Infektionen. Steroide können auch schwerwiegende Nebenwirkungen verursachen, wie z. B. eine Verdünnung der Haut, Wassereinlagerungen, Knochenschwund und Depressionen. 

Entzündliche Nierenerkrankungen betreffen oft junge Menschen in der Blüte ihres Lebens. Ein grosser Teil dieser Patienten entwickelt innerhalb von nur zehn Jahren nach der Diagnose ein Nierenversagen.  Viele dieser Patienten müssen sich mehrmals pro Woche einer Dialyse unterziehen. Wenn die Nieren ihre Arbeit nicht mehr verrichten können, filtert und reinigt eine Maschine das Blut an ihrer Statt. Diese Technik ist sehr zeitaufwändig und anstrengend. Manche Patienten müssen ihre Ausbildung, ihren Beruf oder ihre Hobbys aufgeben. 

 

Gisela umarmt nach der erfolgreichen Operation ihren Bruder
Gisela umarmt nach der erfolgreichen Operation ihren Bruder, dessen Spenderniere für sie in Frage kam. Obwohl Gisela sich mit der neuen Niere wesentlich fitter fühlt, erleiden rund 13% aller IgAN Patienten einen Krankheitsrückfall nach fünf Jahren. 5% der Patienten verlieren dadurch ihre Spenderniere.

Als Gisela Delgado Ende 30 war, verschlechterten sich ihre Nierenwerte so sehr, dass sie nicht mehr zur Arbeit gehen konnte. Sie war ständig müde und konnte weder essen noch schlafen. Das änderte sich im Februar 2019, als sie eine Nierentransplantation erhielt. "Es fühlte sich an, als wäre man super durstig gewesen und dann gibt dir jemand ein eiskaltes Sportgetränk", sagt sie. "Man merkt gar nicht, wie sehr die Nieren das Energieniveau beeinflussen." 

Bei etwa 13 % der Transplantationspatienten kehrt die IgAN jedoch nach fünf Jahren zurück. 5 % der Patienten verlieren ihre neue Niere aufgrund eines Rückfalls in die Krankheit.3  

"Die entscheidende Frage ist: Wie können wir für diese Patienten Zeit gewinnen, indem wir die Notwendigkeit einer Dialyse oder Transplantation hinauszögern - oder im Idealfall gar verhindern?", sagt Thomas Holbro, der bei Novartis als Global Program Head im Bereich der Kardiovaskulär-, Nieren- und Metabolismus-Erkrankungen tätig ist und die Entwicklung einer potenziellen Behandlung für eine Reihe von entzündlichen Nierenerkrankungen leitet.

Ein ausser Kontrolle geratenes Immunsystem zähmen

Holbro und sein Team entwickeln ein Prüfpräparat, das das Potenzial hat, das Nierenversagen hinauszuzögern. Die Therapie zielt darauf ab, Entzündungen zu reduzieren und Schäden, die zu Narbenbildung führen, zu verlangsamen oder zu verhindern. Im Gegensatz zu Steroiden beruhigt diese Prüftherapie nur den ganz spezifischen Teil des Immunsystems, der ausser Kontrolle geraten ist und die Nieren angreift. Dadurch bleibt der Rest des natürlichen Abwehrmechanismus des Körpers stark genug, um Infektionen zu bekämpfen.  

"Unsere Hoffnung ist, dass wir den Patienten helfen können, das natürliche Ende ihres Lebens mit einer gut funktionierenden Niere zu erreichen", sagt Holbro. 
Das Prüfpräparat wird auch daraufhin untersucht, ob es helfen kann, Symptome wie Müdigkeit zu lindern. Weitere Tests in klinischen Studien sind erforderlich, um die Sicherheit und Wirksamkeit dieses Ansatzes zu belegen. 

Das Team führt klinische Studien für eine Reihe seltener entzündlicher Nierenerkrankungen durch, darunter IgAN, C3-Glomerulopathie (C3G), atypisches hämolytisch-urämisches Syndrom (aHUS) und membranöse Nephropathie (iMN) sowie eine Bluterkrankung namens paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH). 

"In der Vergangenheit gab es nicht viele Innovationen auf dem Gebiet der Nierenkrankheiten, aber das ändert sich", sagt Marty Lefkowitz, der Leiter der klinischen Entwicklung im Bereich der Kardiovaskulär-, Nieren- und Metabolismus-Erkrankungen bei Novartis. "Wir verstehen diese Krankheiten immer besser, und ich hoffe, dass wir bald etwas für die Patienten bewirken können."


Referenzen:

  1. Gisela Delgado nimmt an keiner klinischen Studie durch Novartis teil.
  2. http://www.era-edta.org/press/180626_Prevalence_Data_Project.pdf
  3. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/15156532/#:~:text=Recurrence%20of%20the…