Die Anfänge der Biochemie in Kundl
Mitten in Kundl steht – weithin sichtbar – seit 1495 das Schloss Hocholtingen. Hier eröffnete der Adlige Bartlmä Plank anno 1658 eine Bierbrauerei. Mit kaiserlichem Privileg und Weitsicht bis in die Gegenwart – denn mit dem Bier kam die Biotechnologie nach Kundl. Bierbrauen ist Biotech: In einem Fermentationsprozess wird Malz mittels Hefe zu Alkohol vergoren. Gebraut wurde in Kundl, ab 1927 im Namen der Österreichischen Brau AG, bis 1945 kriegsbedingt die Rohstoffe ausgingen und die Anlagen stillgelegt wurden. Lange genug, um profundes biotechnologisches Knowhow am Standort aufzubauen.
Als die französischen Besatzungstruppen unter Général Béthouard im Frühsommer 1945 in Tirol einmarschierten, war dieser erschüttert von der schlechten wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Lage der Bevölkerung. So reichten die Nahrungsmittelvorräte gerade aus, um jeden Bürger im Durchschnitt mit 440 Kalorien täglich zu versorgen. Infektionskrankheiten wie Diphterie, Tuberkulose und Scharlach waren häufig und verliefen ohne Antibiotika oftmals tödlich. Diese allerdings gab es praktisch nur am Schwarzmarkt. Eigene Produktionsstätten in Österreich existierten nicht, und es fehlte an finanziellen Mitteln, um das teure Arzneimittel aus dem Ausland zu beziehen.
Hilfe vom ehemaligen Kriegsgegner
Michel Rambeaud, Besatzungsoffizier unter Général Béthouard und gelernter Chemiker, hatte sich während des Krieges mit der Penicillin-Herstellung beschäftigt. Gemeinsam mit seinem Vorgesetzten wollte er helfen, die Not der Bevölkerung zu lindern. Sein Ziel: Penicillin in Österreich herstellen – für den österreichischen und französischen Markt. Rambeaud gewann die Geschäftsleitung der Österreichischen Brau AG für sein Projekt. Er kannte englische Penicillin-Fabriken und sah die Vorteile der stillgelegten Brauerei für die Arzneimittelherstellung. Die hygienischen Anforderungen für die Fermentation von Penicillin ähneln jenen der Bier-Gärung. So ließ sich neben den bestehenden Anlagen auch das Knowhow der Mitarbeiter weiter nutzen.
Die Österreichische Brau AG sprang auf den „Penicillin-Zug“ auf und stellte neben den ungenutzten Räumlichkeiten im Kundler Schloss auch einen Großteils des Startkapitals von 500.000 Schilling zur Verfügung. Im Mai 1946 wurde der Gesellschaftsvertrag der Biochemie Ges.m.b.H. unterschrieben, Ende September erfolgte die Eintragung ins österreichische Handelsregister. Das Unternehmen hatte 6 Mitarbeiter.
Nach der Entdeckung von Penicillin durch Alexander Fleming im Jahr 1928 gelang es Howard Florey erst 1941, das Antibiotikum für die Anwendung am Menschen tauglich zu machen. Der Nachteil dieses injizierbaren Penicillins: Es war nicht säureresistent und ließ sich lediglich injizieren.
In Kundl war anfangs Improvisationstalent gefragt. Schon die Montage der Produktionsanlagen erwies sich als schwierig: Die zur Verfügung stehenden Hilfsmittel waren einfachster Art.[…] Zur Drucklufterzeugung für die Fermenterbelüftung wurden umgebaute Motoren von Panzerfahrzeugen, als Flüssigkeitsbehälter Treibstofftanks der ehemaligen Wunderwaffe V 2 verwendet. Die benötigten Rohrleitungen wurden aus dem ausgebombten Café München in Innsbruck, das im Besitz der Brau AG war, bezogen. Die Kühlmaschine mit einem imposanten Schwungrad hatte schon der Brauerei gedient und trug das Schild Baujahr 1912. (Quelle: Dr. Herbert Kuntscher, Aus der Geschichte der Biochemie Ges.m.b.H). Hinzu kamen Probleme mit der Rohstoff-Versorgung (den Pilzstamm organisierte Rambeaud über Beziehungen in Frankreich) sowie die Suche nach dem geeigneten Produktionsverfahren.
Um finanziell zu bestehen, waren zusätzliche Einnahmequellen nötig. So erzeugte die firmeneigene Glasbläserei neben Penicillin-Ampullen auch Christbaumschmuck. Zudem wurden leicht herzustellende Arzneimittel und Kosmetika produziert, um überhaupt am Markt vertreten zu sein. Die Produktion von österreichischem Penicillin blieb 1946 nur Wunschdenken.
Penicillin aus Tirol
Nach schwierigen Anfangsjahren voller Rückschläge gelangt es den Kundler Biochemikern 1948, ein für die Anwendung am Menschen taugliches injizierbares Penicillin herzustellen. Es war gelb-bräunlich und eine echte Sensation. Die Tiroler Tageszeitung berichtete:
Vor einigen Tagen hat die neuerrichtete Fabrik der Innsbrucker Biochemie Ges. m. b. H. in den Gebäuden der ehemaligen Kundler Brauerei die fabrikmäßige Erzeugung des begehrten Heilmittels Penicillin aufgenommen. Sie ist somit die zweite Penicillin-Fabrik auf dem europäischen Festland, denn bisher gab es neben englischen Fabriken nur eine einzige Penicillin-Fabrik in Frankreich.
(Quelle: Sandoz GmbH)
Erste Weiterentwicklungen
Das Problem: Die Qualität des österreichischen Penicillins blieb weit hinter der englischer oder amerikanischer Produkte, und es war nicht kristalliert. Zudem führte die Infektionsanfälligkeit des Penicillinstamms immer wieder dazu, dass ganze Chargen vernichtet werden mussten. In den immer noch improvisierten Produktionsräumen waren die hygienischen Bedingungen oftmals nicht ausreichend. Nach und nach gelang es, auch diese Herausforderungen zu meistern: 1949 schließlich glückte die Herstellung des Penicillin in kristallierter Form. In Öl suspendiert, kam es als Depot-Penicillin auf den Markt.
Kundl versorgte immer mehr Ärzte und Spitäler in Österreich mit injizierbarem Penicillin und ab 1950 einem weiteren Antibiotikum. 1951 ließen sich bereits 40 Prozent der heimischen Nachfrage aus eigener Produktion decken.
Der große Durchbruch folgte 1952, als die Biochemie-Forscher Dr. Ernst Brandl und Dr. Hannes Margreiter das säurestabile Penicillin entdeckten. Mehr zur Vorgeschichte und Hintergründe dieser medizinischen Sensation erfahren Sie hier.
Courage and entrepreneurial spirit. The beginnings of penicillin production
Hocholtingen Castle, visible from afar, has been located in the centre of Kundl since 1495. It had been at this castle where the nobleman Bartlmä Plank opened a brewery in 1658. He had imperial privileges and foresight right up to the present day. Brewing beer is biotechnology: in a fermentation process, malt is converted into alcohol by means of yeast. Beer was brewed in Kundl, from 1927 onwards in the name of Österreichische Brau AG, until the raw materials ran out in 1945 due to the war and the production facilities were shut down. However, this was long enough to build up profound biotechnological know-how on site.
When the French occupation troops under Général Béthouard entered Tyrol in the early summer of 1945, he was shocked by the poor economic, social and health situation of the population. Food supplies were just enough to provide each citizen with an average of 440 calories a day. Infectious diseases such as diphtheria, tuberculosis and scarlet fever were common and often fatal without antibiotics. These were, however, only available on the black market. Austria had no production facilities and no funds to purchase the expensive medicines from abroad.
Help from the former enemy
Michel Rambeaud, occupation officer under Général Béthouard and trained chemist, had been involved in the production of penicillin during the war. In collaboration with his commanding officer, he wanted to help alleviate the plight of the population. His goal: producing penicillin in Austria – for the Austrian and French markets. Rambeaud convinced the management of Österreichische Brau AG for his project. He knew English penicillin facilities and saw the advantages of the shutdown brewery for drug production. The hygienic requirements for the fermentation of penicillin are similar to those of beer fermentation. Thus, in addition to the existing facilities, the know-how of the employees could be further utilized.
Österreichische Brau AG seized the opportunity and provided not only the unused premises in Kundl Castle but also a large part of the startup capital of 500,000 Austrian Schillings. In May 1946 the articles of association of Biochemie Ges.m.b.H. were signed, and at the end of September the company was entered in the Austrian Commercial Register. Biochemie at that time had 6 employees.
After the discovery of penicillin by Alexander Fleming in 1928, it was not until 1941 that Howard Florey succeeded in making the antibiotic suitable for use in humans. This injectable penicillin, however, was not acid-resistant and could only be injected.
In Kundl, a talent for improvisation was needed at the beginning. Even the assembly of the production facilities proved to be difficult: "The available resources were of the simplest kind.[...] For the generation of compressed air for the fermenter ventilation, converted engines from armoured vehicles were used, and fuel tanks from the former wonder weapon V2 were used as liquid containers. The required piping was obtained from the raided Café München in Innsbruck, owned by Brau AG. The cooling machine with an imposing flywheel had already served the brewery and was marked "built in 1912" (source: Dr. Herbert Kuntscher, Aus der Geschichte der Biochemie Ges.m.b.H). In addition, problems arose with the supply of raw materials (Rambeaud organised the mushroom strain through connections in France) and the search for a suitable production process.
In order to survive financially, additional sources of income were necessary. The company's own glassblowing workshop manufactured penicillin ampoules as well as Christmas tree decorations. In addition, easy-to-manufacture medicines and cosmetics were produced in order to be represented on the market after all. The development of Austrian penicillin remained a dream in 1946.
Penicillin from Tyrol
After difficult early years full of setbacks, the Kundl biochemists were able to produce an injectable penicillin suitable for use in humans in 1948. It was yellow-brownish and a real sensation. The Tiroler Tageszeitung reported:
A few days ago, the newly established factory of Innsbrucker Biochemie Ges. m. b. H. in the buildings of the former Kundl brewery started the production of the sought-after remedy penicillin. This is the second penicillin factory on the European mainland, as up to now there was only one penicillin factory in France, apart from English factories.
(Source: Sandoz GmbH)
First advancements
The quality of Austrian penicillin remained far behind English or American products, and it was not crystalized. In addition, the susceptibility of the penicillin strain to infection repeatedly led to entire batches having to be destroyed. In the still improvised production rooms, the hygienic conditions were frequently inadequate. But step by step, these challenges were overcome: in 1949, penicillin was finally produced in crystalized form. Suspended in oil, it was launched on the market as depot penicillin.
Kundl supplied more and more doctors and hospitals in Austria with injectable Penicillin and, as of 1950, with another antibiotic. By 1951, 40 percent of domestic demand could be met from the company's own production.
The major breakthrough followed in 1952, when biochemical researchers Dr. Ernst Brandl and Dr. Hannes Margreiter discovered the acidstable penicillin. You can find out more about the history and background of this medical sensation here.